Paul Henrichs letzter Schultag

Anfang September besuchte der über 90jährige Paul Henrichs aus Reil unseren LK Geschichte, um über sein Leben zu erzählen. Dazu gehörten auch Erinnerungen an die Zeit im Nationalsozialismus.

Luisa hat dazu einen Artikel verfasst:

 

"Im Leistungskurs Geschichte haben wir uns im Rahmen eines Openion-Projektes mit der Zeit des Nationalsozialismus befasst und uns viele Fragen zu den Mentalitäten damals gestellt. Umso mehr haben wir uns gefreut, als uns der Zeitzeuge Paul Henrichs im Unterricht besucht und uns einen Einblick in sein Leben gegeben hat.

Paul Henrichs wurde 1928 in Reil geboren und half in seiner Kindheit oft in der Wirtschaft seiner Eltern aus. „Das Keene Haus“, das mitten im Dorf liegt, hatte zuvor seiner Großmutter und dann seinen Eltern gehört. Die Kinder der Familie bedienten oft die Gäste in den zwei Gaststuben, in denen Skat und Solo gespielt wurde. Auch eine Kegelbahn gehörte dazu, und die Wirtschaft war häufig voll besetzt mit Einwohnern und Touristen. Auch hielten die Mitglieder der NSDAP dort Versammlungen ab, die er mitbekam.

 

1934 wurde er dann in Reil eingeschult. In der kleinen Schule wurden immer zwei Klassen zusammengelegt, und für jeden Fehler gab es „einen über die Finger“, wie Paul Henrichs erzählte. Er berichtete auch von der Schwimmanstalt, in der die Schüler in zwei Becken in der Mosel das Schwimmen lernten. Zum Umziehen stellte der örtliche Bäcker eine Umkleidekabine bereit, denn er hoffte, dabei etwas an die Kinder zu verkaufen. Paul Henrichs legte dar, dass die meisten Kinder oft kein Geld für Süßigkeiten hatten, und dass sie sich daher in den Pausen die Teilchen vom letzten Tag zum halben Preis kaufen gingen. Im Mathe-Unterricht rechneten sie unter anderem aus, wie viele Schiffe anderer Länder versenkt werden mussten, und das Militär war stets vertreten.

 

Paul Henrichs war wie seine sieben Geschwister auch in der Hitler-Jugend, wo die Jugendlichen zweimal pro Woche Sport machten und gemeinsam Lieder sangen. „Man wollte dabei sein, wenn was los war“, erzählte er. Die Uniformen der HJ waren sehr gefragt. Seine Geschwister hatten welche, doch für ihn reichte das Geld nicht, da die Familien sie selber kaufen mussten. Für die Jugendlichen gehörte die HJ genau wie die morgendliche Messe zur Tradition, und es war selbstverständlich, dass man teilhaben wollte. Er schilderte, wie selbstverständlich der Hitlergruß oder die Fahne, die an der Schule gehisst wurde, waren, und dass er, wie alle anderen, einfach mitgemacht hatte, ohne weiter darüber nachzudenken. Wie Paul Henrichs erklärte, wohnten in Reil selbst keine Juden. Er wusste nur von Bürstenhändlern in Bengel, die jüdisch waren.

 

Unser Zeitzeuge schilderte auch, dass die Winter viel härter als die heutigen waren. Er berichtete von einem Vorfall, als in der Feldküche die Suppe im Topf einfror, und von einem Juli, in dem noch Eisgang auf der Mosel war. Zu den Zeiten, als Paul Henrichs in der Wirtschaft seiner Eltern aushalf, gab es viel Tourismus. Sogar Bewohner des Ruhrgebietes kamen mit den Paddelbooten bis nach Reil und hängten Wimpeln mit den Namen ihres Wohnortes im Lokal auf.

 

Nach seinem Schulabschluss 1942 trat Paul Henrichs eine Lehre in Koblenz an, bei der er als Bäckerlehrling in einem Betrieb mithalf und dafür dort essen und schlafen durfte. Nach der Lehre arbeitete er in Bonn als Geselle. 1944 wurde er ausgebombt und verlor dabei seine Papiere, weswegen er dann „vom Bildschirm verschwand“. Sein Vater meldete ihn auch nicht mehr an, sodass ihn die „Kettenhunde“, die Männer, die dafür zuständig waren, Männer und Jungen für den Kriegsdienst einzuziehen, nicht fanden. Herr Henrichs erzählte im Verlauf des Gesprächs von einem Gesetz, das erlassen wurde, um die Ausübung zweier Berufe zu untersagen. Er erzählte von dem Bürgermeister Reils, der trotzdem gleichzeitig Dirigent in einem Verein war, und dass extra die SA aus Koblenz angefordert wurde, um für Ordnung zu sorgen. Dieses Vorgehen der SA fand er nicht gut. „Wenn diese Taten nicht verfolgt werden (ob rechts oder links), dann ist es aus“, sagte er, als er uns von dieser Begebenheit erzählte. Er meint hier die Gewalt, ob von rechts oder links.

 

Herrn Henrichs Schilderungen über die Zeit nach dem Krieg zeigen, dass eine extreme Armut herrschte, die vor allem Städte betraf. Er erzählte von Lebensmittelmarken, die es während des Krieges schon gab, und davon, dass ein wertvolles Schachbrett aus Elfenbein gegen 15 Pfund Mehl getauscht wurde, weil eine solche Armut herrschte. Er erzählte von den Kindern, die keine gebauten Spielplätze hatten und alte Reifen herumrollten und mit Murmeln spielten. „Es war immer Betrieb in der Gasse, in der man mit den Murmeln spielte“, sagte er und legte uns nahe, dass man Spaß auch ohne Geld haben kann.

 

1952 machte Paul Henrichs sich schließlich mit 400 Mark in der Tasche selbstständig und pachtete eine Bäckerei.

 

Herrn Henrichs Erzählungen waren interessant und sehr detailreich und es war schön, einen Einblick in die Zeit seiner Jugend zu bekommen und zu erfahren, wie seine Schulzeit war. Es war besonders lustig. von den Ereignissen wie der gefrorenen Suppe im Topf zu hören.

 

Wir danken Ihnen sehr für ihr Kommen und dafür, dass Ihren „letzten Schultag“, wie Sie ihn nannten, mit uns verbracht haben. Alles Gute, lieber Herr Henrichs !

 

 

 

Luisa Teodoro Nunes (MSS 12)